Kurtatsch stellt sich offen seiner Geschichte
Kurtatsch an der Weinstraße im Südtiroler Unterland war bereits in der Zeit des Faschismus ein Hort des Widerstandes gegen staatlichen Machtmissbrauch und Unterdrückung.
Als nach der Annexion Südtirols das italienische Zivilkommissariat im Jahre 1922 versuchte, die in der Tradition der Freiheitskämpfe stehenden Herz-Jesu-Feiern und Feuer nicht zuzulassen, leuchteten am Abend in Kurtatsch im Unterland Bergfeuer in das Land. „Einige Wackere ließen sogar hoch vom Bataillonskopf ein mächtiges Feuer … in das Land leuchten“. („Volksbote“ vom 29. Juni 1922)
Als der Kanonikus Michael Gamper im ganzen Land den verbotenen und verfolgten „Katakombenunterricht“ im Lande organisierte, fand er in Kurtatsch in der jungen Lehrerin Angela Nikoletti eine treue Verbündete. Diese durfte als deutsche Südtirolerin ihren Lehrerberuf in der mittlerweile italianisierten Schule nicht weiter ausüben. Sie gab nun im Hause ihrer Tante in Kurtatsch Kindern des Dorfes geheimen Deutschunterricht. Das blieb nicht verborgen.
Am Abend des 14. Mai 1927 wurde sie von Carabinieri festgenommen und trotz eines ärztlichen Zeugnisses über eine schwere Rippenfellentzündung in den feuchtkalten Kerker von Tramin und dann in den Kerker von Neumarkt gebracht.
Angela Nikoletti wurde am 19. Mai 1927 zu dreißig Tagen Arrest, zu 5 Jahren Polizeiaufsicht und zur Ausweisung aus ihrem Heimatort Kurtatsch verurteilt. Ihre Krankheit, die sich in der Haft noch verschlechtert hatte, führte letztendlich am 30. Oktober 1930 zu ihrem Tode. Sie starb im Alter von 25 Jahren.
In Kurtatsch wurden auch der Pfarrer Sebastian Kröss aus Kurtatsch, sein Kaplan Heinrich Schullian, die Kooperatoren Kerschbaumer und Kofler sowie katholische Jugendgruppen von den Behörden schikaniert. Es wurden bei ihnen Hausdurchsuchungen vorgenommen, weil man ihnen „feindseliges Verhalten“ gegen den Faschismus durch das Verteilen deutscher Gesangsbüchlein vorwarf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Unterdrückung ganz im Sinne des Faschismus weiter fortgesetzt. In Kurtatsch formierte sich wiederum zunächst politischer Widerstand, welcher angesichts der Unbelehrbarkeit der Politiker in Rom dann zur Beteiligung Kurtatscher Bürger an den Widerstandshandlungen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) führte.
Darüber hat der Kurtatscher Soziologe Armin Gschnell eine herausragende und spannend gestaltete zeitgeschichtliche Untersuchung vorgelegt, die von dem „Bildungsausschuss Kurtatsch“ mit Unterstützung der Autonomen Provinz Bozen und der Raiffeisenkasse Salurn als reich bebildertes Buch herausgegeben wurde.
Wie der Bildungsausschuss in seinem Vorwort bemerkt, war es ihm ein Anliegen, vor allem auch durch die Befragung von noch lebenden Zeitzeugen „die Erinnerungskultur des politischen Widerstandes der 1950/60er Jahre für die Nachwelt“ zu sichern.
Das ist in vollem Umfang gelungen und man darf dem Autor und dem Bildungsausschuss dafür Dank sagen und Respekt entgegen bringen.
Armin Gschnell:
Die Bombenjahre in Kurtatsch
Eine Spurensuche unter Zeitzeugen
Politischer Widerstand, Stimmungslage, Folgen
Herausgegeben vom Bildungsausschuss Kurtatsch
Kurtatsch, im März 2022
Bereits das Titelbild dokumentiert eine spektakuläre Protestaktion des Jahres 1957. Zu jener Zeit wurden das öffentliche Zeigen der Tiroler Farben und das Hissen von Tiroler Fahnen von den Carabinieri als „aufrührerische Kundgebungen“ verfolgt. In einer Nacht begaben sich vier Kurtatscher Burschen mit Farbe, Pinsel und Leiter zu dem Fahnenturm neben der Kurtatscher Kirche und gaben ihm ein weiß-rotes Kleid.
Weitere Aktionen in den 1950er Jahren: Aufhängen von Tiroler Fahnen an unzugänglichen Orten, Flugzettel, Aufkleber und selbstgemalten Plakate für die Selbstbestimmung Südtirols, das Abbrennen von Herz-Jesu-Feuern und Protestfeuern auf den Bergen, Fällen eines Alleebaumes quer über die Straße bei der Sprachgrenze in Salurn, Abbrennen einer Tricolore.
Eine besonderes Aufsehen erregende Aktion war das Abbrennen eines großen Feuerkreuzes in den Herz-Jesu-Nächten in den Grauner Wänden oberhalb des Dorfes,
welches in jenem Jahr ein geeignetes Alibi bot.
Mutige Kletterer, darunter die späteren politischen Häftlinge Hermann Anrather, Luis Hauser Josef Anegg sowie der Kurtatscher Hermann Penz hatten eine große Anzahl kleiner Petroleumbehälter in der Felswand angebracht, aus den das Feuerkreuz gespeist wurde.
Die „Feuernacht“ – Verhaftungen und Folter
Als nach der „Feuernacht“ des 11. auf den 12. Juni 1961 die ersten Verhaftungen erfolgten und unter dem Druck unmenschlicher Folterungen die Namen weiterer Mitverschworener aus den Verhafteten herausgepresst wurden, schlug auch für die Kurtatscher Luis Hauser, Josef Anegg, Hermann Anrather, Josef Orian und Adolf Pomella die Stunde des Unheils.
Sie wurden verhaftet und in der Carabinieri-Kaserne in Kurtatsch schrecklich gefoltert. Aus dem Gefängnis mit Hilfe eines Geistlichen gelangte Berichte über ihre Folterungen sind als Dokumente in dem Buch von Armin Gschnell wiedergegeben.
Es folgten der Prozess und die Zeit der Haft, in denen sich die Ortseinwohner sich als selbstlose Freunde und Helfer erwiesen. Ungefähr 40 junge Frauen und Männer halfen bei der Arbeit in der Landwirtschaft der Häftlingsfamilien.
Unterstützung erhielten die Kurtatscher Häftlinge und ihre Familien durch zahlreiche Mitbürger. In der Schule forderten die Lehrer die Schüler auf, dass sich jeder einen Südtiroler Häftling als Brieffreund wählen sollte, der nicht unbedingt aus Kurtatsch stammen musste.
Auch nach der Haftentlassung halfen die Kurtatscher ihren verfolgten Mitbürgern wieder bei der Eingliederung in das normale tägliche Leben.
Insgesamt bietet das Buch eine beispielhafte Aufarbeitung eines tragischen Abschnittes der Zeitgeschichte. Es handelt sich um eine lokalhistorische Untersuchung. Diese bietet jedoch tiefere Einblicke in das damalige Geschehen als die meisten allgemeinhistorischen Darlegungen. Das Buch ist spannend zu lesen und bewegt den Leser innerlich.
Der Südtiroler Heimatbund begrüßt diese Neuerscheinung und wünscht ihr eine weite Verbreitung. Dem Autor und dem Bildungsausschuss Kurtatsch ist aufrichtig zu danken.
Roland Lang
Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB)
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(Es dürften für das „Inland“ (Italien) eine Spende von etwa 15 EURO und für das Ausland eine Spende von etwa 20 EURO als angemessen erscheinen.)